Frau Dr. Seewald, herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Verteidigung Ihrer Dissertation. Was hat Ihr Interesse an dem Thema geweckt?
Das Recht der EU-Außenbeziehungen ist ein äußerst komplexes und anspruchsvolles Gebiet. Es erfordert die Fähigkeit, die komplizierten Synergien zwischen verschiedenen Rechtsgebieten zu analysieren und zu bewerten. Ich war sofort fasziniert, und es hat sich als ein besonders lohnendes Forschungsgebiet erwiesen.
Was war die Forschungsfrage und das Ziel Ihrer Dissertation?
Ich habe untersucht, wie sich die Menschenrechtsklausel und der Kontext, in den sie eingebettet ist, seit ihrer Einführung in den frühen 1990er Jahren entwickelt haben. Ziel der Arbeit war es, zu beurteilen, ob die Menschenrechtsklausel ein wirksames Rechtsinstrument ist, um gegen Verletzungen der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze vorzugehen, oder ob die Klausel eher ein „dekoratives“ Element eines Vertrages ist oder geworden sein könnte.
Was ist die Menschenrechtsklausel und wie funktioniert sie?
Die Menschenrechtsklausel besteht aus zwei verschiedenen Teilen: einer materiellrechtlichen Klausel und einer Nichterfüllungsklausel. Die materielle Klausel verpflichtet die Vertragsparteien zur Einhaltung bestimmter Normen, in der Regel der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze, indem sie diese zu „wesentlichen Bestandteilen“ des Vertrages erklärt. Die Nichterfüllungsklausel hingegen bietet den Parteien einen vertraglichen Reaktionsmechanismus zur Durchsetzung von Verstößen gegen die wesentlichen Elemente.
Könnten Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Arbeit kurz erläutern?
Meine Dissertation hat gezeigt, dass die Menschenrechtsklausel in neue Vertragskategorien aufgenommen wird und dass sich auch die Vertragsparteien von Verträgen mit Menschenrechtsklauseln verändert haben. Ursprünglich wurde die Klausel vor allem in so genannte Rahmenabkommen mit Staaten aufgenommen, die wirtschaftlich betrachtet nicht sonderlich mächtig sind oder waren. Vor allem in den letzten zehn Jahren hat sich die EU jedoch intensiv um neue Vertragsbeziehungen bemüht, an denen nun auch große Wirtschaftsmächte wie Kanada, Australien, Neuseeland oder Japan beteiligt sind, und sie hat sich besonders nachdrücklich für die Aufnahme von Menschenrechtsklauseln in diese neuen Abkommen eingesetzt. Nach den Ergebnissen meiner Analyse sind inzwischen rund 170 Staaten, darunter auch die EU-Mitgliedstaaten, an eine Menschenrechtsklausel gebunden. Diese nahezu weltweite Verbreitung der Klausel zeigt zweifellos, dass sie zu einem wichtigen Instrument des außenpolitischen Handelns der EU geworden ist.
Darüber hinaus hat die Analyse mich dazu veranlasst, eine neue Kategorie von Nichterfüllungsklauseln zu identifizieren, die ich als „Neuseeland-Klausel“ bezeichnet habe, da das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Neuseeland das erste Abkommen war, das eine solche Klausel enthielt. Die Neuseeland-Klausel wurde in eine kleine, aber bedeutende Anzahl internationaler Verträge mit wirtschaftlich starken Ländern aufgenommen. Die Ergebnisse meiner Arbeit zeigen, dass diese neue Generation von Klauseln zu den bedeutendsten Veränderungen seit der Einführung der Menschenrechtsklausel geführt hat. Die Veränderungen sind jedoch überwiegend negativ. Die Neuseeland-Klausel wurde als relativ „zahnloses“ und „verwässertes“ Instrument bewertet, das nur in absoluten Ausnahmefällen die Ergreifung von angemessenen Maßnahmen ermöglicht.
Schließlich hat meine Arbeit gezeigt, dass sich der Kontext, in den die Menschenrechtsklausel eingebettet ist, seit Anfang der 1990er Jahre erheblich verändert hat. Obwohl die Klausel immer häufiger in internationalen Abkommen auftaucht, ist die Zahl der Fälle, in denen sie geltend gemacht wird, rückläufig. Dies ist zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass die Klausel nur noch eines von mehreren Instrumenten ist, mit denen auf Menschenrechtsverletzungen reagiert werden kann. So kann sich die EU bei Menschenrechtsverletzungen nicht nur auf die Menschenrechtsklausel berufen, sondern auch im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik restriktive Maßnahmen verhängen oder Gegenmaßnahmen ergreifen. Darüber hinaus hat die Arbeit gezeigt, dass es auch in anderen Instrumenten Konditionalitätsklauseln gibt, die die EU aktivieren kann und die zu Sanktionen im weiteren Sinne führen können.
Sie hatten auch die Möglichkeit, in den Jahren 2022 und 2023 ein fünfmonatiges Praktikum bei der Europäischen Kommission in Brüssel zu absolvieren. Hat diese Erfahrung Ihren Blick auf die EU verändert und wenn ja, wie?
Das fünfmonatige Praktikum im RELEX-Team des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission war ein wichtiger Meilenstein in der Vorbereitung meiner Dissertation. Es ermöglichte mir, den europäischen Rechtsrahmen aus erster Hand kennenzulernen und die Arbeitsweise der EU-Institutionen besser zu verstehen.
Können wir uns auf Veröffentlichungen im Zusammenhang mit Ihrer Doktorarbeit freuen?
Ja, es ist geplant, meine Dissertation als Buch zu veröffentlichen, weitere Einzelheiten werden zu gegebener Zeit bekannt gegeben.
Wenn Sie auf Ihre Zeit als Doktorandin an der Universität Graz und die Art und Weise, wie Sie an Ihre Dissertation herangegangen sind, zurückblicken, gibt es etwas, das Sie – im Nachhinein betrachtet – anders gemacht hätten?
Am Ende entsprach das Ergebnis meiner Arbeit genau meiner ursprünglichen Vision. Rückblickend hätte ich die Aufgabe jedoch anders angegangen. Ich denke, es ist Teil des Lernprozesses, herauszufinden, wie man selbst am besten zum Ziel kommt.
Haben Sie Ratschläge für zukünftige Doktorandinnen und Doktoranden der Universität Graz?
Das Schreiben einer Dissertation ist ein Prozess, der Zeit braucht und unweigerlich Höhen und Tiefen mit sich bringt. Es ist wichtig, sich nicht von der Größe der Aufgabe einschüchtern zu lassen, sondern sich kleinere Ziele zu setzen und Schritt für Schritt vorzugehen. Am wichtigsten ist es zu lernen, Prioritäten für die eigene Forschung zu setzen. Man sollte sich bestimmte Tage und Stunden seiner besten Arbeitszeit für die eigene Forschung reservieren und sich nicht erst dann damit beschäftigen, wenn einem die Energie ausgeht. Ich habe gelernt, dass die Fertigstellung einer Dissertation keine Aufgabe ist, die man von einer Liste abhaken kann, sondern dass wissenschaftliches Schreiben auch ein gewisses Maß an Inspiration und Kreativität erfordert.